Hier – ausnahmesweise mal ganz aktuell – die „Vatertage“-Folge aus Gießener-Allgemeinen, Wetterauer Zeitung und Alsfelder Allgemeinen von dieser Woche.
Vatertage: Wetterfarbe
„Papa, was ist das eigentlich, ´Wetterfarbe´?, fragt meine siebenjährige Tochter heute Morgen beim Zähneputzen im Bad, während aus dem spritzwassergeschützen Radio HR 3 dudelt. Ich bin stolz auf meine Kleine, da es zeigt, dass man selbst Zweitklässler nicht so einfach für doof verkaufen kann. Ich höre ja wirklich gerne Musik, aber mit dem Morgenradio habe ich – wie heißt es so schön – „keinen Vertrag geschlossen“. Wenn es nach mir ginge, liefe im Bad ein anderer Sender oder am besten gar nichts. Meine Frau und meine kleine Tochter jedoch berufen sich auf eine demokratische Mehrheitsentscheidung. Womöglich bin ich ja ein exotischer Ausnahmefall, aber für mich gibt es nichts Nervigeres, als um 6:05 Uhr von einem hypergutgelaunten Morning-Moderator bequasselt zu werden, umrahmt von einer nochmals verknappten (der ohnehin schon varianzarmen) Musikauswahl. Aktuell scheinen die Radiomacher jedenfalls keine halbe Stunde Morgenprogramm ohne Lost Frequencies, Ed Sheeran, Robin Schulz und Felix Jaehn gestalten zu können. Aber es kommt noch schlimmer. In den letzen Jahren versuchen die Sender im Kampf um die wichtigen Marktanteile, sich durch absurde Neuerungen von der jeweiligen Konkurrenz abzuheben. Diese Konkurrenz trat erstmals 1989 in Erscheinung, als ein privater Radiosender aus Bad Vilbel die hessische Medienlandschaft revolutionierte und Hessen kurzerhand in „FFH-Land“ umtaufte. Seitdem liefern sich die heimischen Anstalten ein Kopf- an-Kopf-Rennen im Erfinden neuer Radioevents. Es begann damit, dass man plötzlich unter das Verlesen der Verkehrsnachrichten hyperaktive Instrumentalmusik legte. Später versuchte man Hörer dadurch an die Welle zu binden, indem man sie im großen Stile dazu aufwiegelte, verkehrserzieherische Maßnahmen der Polizei zu boykottieren, bzw. zu verpetzen („Blitzer-Hotline“). Warum dies erlaubt ist, entsprechende technische Hilfsmittel an Navigationsgeräten oder Handys jedoch nicht, muss mir auch mal jemand schlüssig erklären. Vor ca. 10 Jahren begann man plötzlich damit, seine Hörer jeden Morgen mit semi-hobby-metrologischen Daten sogenannter „Wetterpiloten“ zu traktieren. Ganz ehrlich, mich interessiert es den berühmten feuchten Kehricht, wie viel Grad vor einer Stunde die Rentner-Wetterstation von Hubert Schnackselmann aus Niederdusslingen im Untertaunus anzeigt hat. Offenbar gibt es aber Menschen, die das interessiert, mehr noch, die selbst dreimal am Tag im Sender anrufen, um dort aufs Band zu sprechen, dass es bei ihnen gerade bewölkt ist. Eine neuere „Errungenschaft“ der Radioszene ist die „gefühlte Temperatur“, ein selten dämlicher Ableger der Lifestylediskussion über das „gefühlte Alter“. Sie wissen schon, „die 50-Jährigern sind die neuen 40-jährigen“, usw. Auf das Wetter übertragen bedeutet dies wahrscheinlich, dass Wasser heutzutage schon bei gefühlten 10 Grad Plus zu Eis gefriert. Relativ neu ist auch das Breittreten der Verkehrsmeldungen. Es genügt nicht mehr zu sagen: „Auf der A3 zwischen Offenbach und Frankfurt: zehn Kilometer Stau.“ Nein, heutzutage erfahren wir, dass da ein polnischer LKW – mit einem gebürtigen Slowenen am Steuer – aufgrund einer akuten Übermüdung (private Probleme..) in die Leitplanke „gebrettert“ ist (original Wortwahl HR3), dessen Ladung – mehrere Paletten Steinwolle – nun von der Feuerwehr entsorgt werden muss. Es folgt ein O-Ton-Interview mit dem Einsatzleiter, der die Worte des Radiosprechers noch einmal exakt wiederholt und mit der Information endet, dass die Bergung vermutlich noch etwa zwei Stunden dauern wird. „Wie lange ist das ´in gefühlt´ und wie viel Grad herrschen gerade am Unfallort?“, rufe ich genervt in Richtung Autoradio. Der allerneueste Spleen ist aber nun also – neben der sinnfreien „Stauampel“- die „Wetterfarbe“ und überbietet alles bisher Genannte an Überflüssigkeit um Längen. Sind wenige Wolken am Himmel zu erwarten, ist diese Farbe – welch Überraschung – blau. Ist es trüb und nebelig ist sie – Sie dürfen ruhig mitraten da draußen an den Zeitungen – ja, richtig: grau. Mal im Ernst, der Mehrwert dieser dämlichen Neuerung seiner Tochter auch nur halbwegs plausibel zu erklären, ist eine echte Herausforderung. Da aber weder sie noch meine Frau morgens auf einen anderen Sender wechseln wollen, werde ich mich vermutlich noch gefühlte Jahre über jede noch so dusslige Neuerungen wetterfarbmäßig schwarzärgern. Demokratie kann manchmal ziemlich ätzend sein.